Über Folter spricht man nicht

Ein Projekt von José Giribás M.

Die porträtierten Überlebenden der Folter

Adriana*

Mitglied der Kommunistischen Partei, fest-genommen in Talca am 23. April 1975 durch eine Zivilstreife, zuerst gefangen gehalten in der “Colonia Dignidad”, dann nach Santiago transportiert. Anschließend wurde sie in einem Haus festgehalten, dessen Adresse sie nach der Abnahme der Augenbinde feststellen konnte, als sie eine Stromrechnung mit der Anschrift “Irán 3037” fand: die Adresse der “Venda Sexy”.

“Mein Leben wurde am 23. April ein anderes in dem Augenblick, als ich in der “Colonia Dignidad” eingekerkert wurde. Seitdem gibt es für mich und meine Töchter ein “davor” und ein “danach”.

Ich habe mir nie vorstellen können, dass ein Mensch derartige Erniedrigungen erleiden könnte, und nie habe ich geglaubt, welche Auswüchse der Sadismus erreichen kann. Niemals, weder davor noch danach, konnte ich auf so tragische Weise die eigene Zerbrechlichkeit, aber auch die eigene Stärke ermessen. Angesichts der Folter habe ich die Kraft der inneren Würde erfahren, und das hat mich für immer frei gemacht.”

Armando*

Mitglied der chilenischen Kommunistischen Partei, wurde 1975 verhaftet und ins Lager „Nido 20“ gebracht, wo er Zeuge mehrerer Morde wurde, einer davon durch Ketten-schläge. Er wurde dann in das Gefangenen-lager „Malinka“ in Puchuncaví versetzt, wo er schließlich frei gelassen wurde.

Nach seiner Freilassung in Puchuncaví lehnte er das Angebot des Roten Kreuzes ab, ins Ausland zu gehen und blieb in Chile, um sich dem Widerstand anzuschließen. 1986 wurde er ein zweites Mal verhaftet, von der Zivil-Polizei in Santiago fast drei Monate festgehalten, aber zumindest, ohne gefoltert zu werden.

Carlos Sergio*

Verhaftung am 18. Mai 1976; kurzer Aufenthalt in der "Clínica de Santa Lucia", anschließende Verlegung in die "Villa Grimaldi" und schließlich Anfang Juli Verlegung nach "4 Alamos" in einer größeren Gruppe schwer gefolterter Mitge-fangener. Weitere Inhaftierung in "3 Álamos". Am 24. Juni 1977 wurde er nach Schweden in die Zwangsverbannung geschickt. Erst 1988 wurde ihm die Rückkehr gestattet; er ging jedoch 1991 nach Berlin und kehrte erst 1996 nach Chile zurück.

„Schon kurz nach unserer Festnahme ist uns allen klar geworden, dass wir die linken Parteien und Bewegungen als Einheit stärken müssten. Ein Sektierertum hat keinen Sinn, unter keinen Umständen und für niemanden von uns... Für uns war der Feind ausschließlich die grausame Diktatur, die uns täglich unterdrückte... und nur darauf wartete, dass wir uns gegenseitig zerstörten. Die Selbstorganisation der Gefangenen und die große Solidarität untereinander waren so etwas wie eine kollektive Therapie...”

Danilo*

Er wurde bereits am 7. Juli 1973 auf dem Zerstörer Blanco Encalada verhaftet, als mutmaßliches Mitglied der „Marineros Constitucionalistas“, einer informellen Gruppe von Matrosen, welche versuchte, die Regierung Allende vor dem Putsch zu schützen. Er wurde ins „Cuartel Silva Palma“ gebracht, wurde dort geprügelt und sadistisch gefoltert, am 4. September 1973 dann aber freigelassen.

Im März 1976 wurde er erneut verhaftet und zum Fort „el Morro“ de Talcahuano gebracht. Dort wurde er abermals gefoltert, u.a. indem er kopfüber in eine Tonne mit Wasser und Urin getaucht wurde. Nach zwei Tagen „wurde ich zu einem Mann gebracht, der angeblich der Chef des Geheimdienstes war (Captain Fuentes) und er sagte mir, dass sie mich lange untersucht hätten, aber dass sie nichts gefunden haben. Ich musste versprechen, nicht über die Folter zu sprechen, um freigelassen zu werden, und falls nicht, würden sie mich nochmal abholen.“

Eduardo Andrés*

Festnahme Juli 1980 durch die Polizei (Carabineros) nach Beteiligung an mehreren Banküberfällen zur Geldbeschaffung für die Widerstandsbewegung. Wegen der bei der Verhaftung erlittenen Kopfverletzung zunächst Einlieferung in ein Hospital, dann Verlegung ins „Cuartel Borgoño“ der CNI (Central Nacional de Informaciones). Freilassung nach zwei Tagen, erneute Verhaftung im September 1980 und Folterung mit Elektroschocks auf dem sogenannten Grill. Verlegung ins Gefängnis von Santiago, dort elf Jahre Haft ohne ordentliches Gerichtsverfahren.

“Gegenwärtig arbeite ich mit im Komitee für die Bewahrung der Cuartel Borgoño, dessen Ziel es ist, aus diesem Ort des Schreckens einen Ort zur Ehrung derer zu machen, die ein Leben in Würde für unser Land erstrebten und dafür Folter und Tod erleiden mussten.”

Fermín*

geb. 1947, Student der Sozialarbeit und Mitglied der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria). Festgenommen am 17.11.1975 in Bolivien, zusammen mit einer Gruppe argentinischer, bolivianischer und chilenischer Kämpfer der Volksbefreiungs-armee/Revolutionäre Partei der Arbeiter (ELN-PRT). Von Cochabamba nach La Paz in das geheime Gefängnis „Achacolla“ gebracht und schließlich am 13. März 1976 zusammen mit weiteren Chilenen im Rahmen der “Operación Cóndor” ( Koordinierte Zusammenarbeit der lateinamerikanischen Diktaturen) illegal der DINA in Arica überstellt; von dort nach “3 y 4 Álamos”, “Villa Grimaldi” und schließlich nach Puchuncaví im Lager „Melinka“ gebracht; freigelassen Ende 1976. Erneut festgenommen im Oktober 1980 bei dem Versuch, mit der Unterstützung der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) das Land zu verlassen. 20 Tage im „Cuartel Borgoño“ festgehalten. In dem folgenden Militärgerichts-verfahren als Mitglied der MIR angeklagt und verurteilt. „Nach 11 Jahren in verschiedenen Gefängnissen wurde ich schließlich im Oktober 1991 freigelassen.

Im Juni 2016 ist es uns, einer Gruppe Überlebender, gelungen, den vollständigen Abriss des früheren Hauptquartiers der CNI (Central Nacional de Informaciones) zu verhindern und so einen Ort der Erinnerung an Verhaftungen, Folter, Mord und zugleich des Widerstandes zu schaffen.”

Haydee *

geb. 1974, Studentin der Geschichte und Geographie in Valparaíso, gewählte Vertreterin ihres Studiengangs im Studentenverband und Mitglied der MAPU. Nach dem Putsch von der Universität verwiesen und mit Studienverbot belegt.

Ende 1975, einige Tage nachdem ihre Mutter und ihre anderthalbjährige Tochter in Valparaiso inhaftiert wurden, wurde Haydee in Santiago verhaftet und in das „Cuartel Silva Palma“ in Valparaíso überführt. Zu diesem Zeitpunkt war sie im vierten Monat schwanger. In den Verhören wurde mit einem Krummdolch eine Fehlgeburt provoziert. Später überstellte der Marine-Geheimdienst sie der DINA (Dirección Nacional de Inteligencia), die die Verhöre in diversen Folterzentren in Santiago fortführte, darunter in der Kriegsakademie der Luftwaffe, der “Villa Grimaldi“ und “4 Álamos“. Zuletzt war sie in „3 Álamos“ inhaftiert. Nach dessen Schließung 1976 wurde sie auf internationalen Druck hin entlassen. Obwohl ihr mehrere Länder Asyl anboten, blieb sie in Chile und wurde in den folgenden Jahren noch mehrfach verhaftet.

Helios*

Student der Ingenieurwissenschaften. Trat 1972 der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) bei, war ab 1974 im Widerstand und arbeitete mit der Sozialistischen Partei zusammen. Seine Mutter wurde am 22.09.1974 verhaftet, und in der „Venda Sexy“ festgehalten, damit er sich dem Militär stellt. Er selbst wurde am 23.09.1974 verhaftet und kam für eine Woche nach „La Venda Sexy“, dann für vier Monate nach „4 Álamos“. Im November 1974 wurde er nach Spanien ausgewiesen und flüchtete dort vor dem Franco-Regime 1975 nach Frankreich.

„Ich habe festgestellt, wie zerbrechlich man ist und die Entmenschlichung bewusst gespürt.“

Jaime Andres*

Verhaftet am 5. Mai 1975, gefangen gehalten und gefoltert bis zum 20. Mai 1975 in der „Villa Grimaldi“, danach Gefangenschaft in „3 y 4 Álamos“ und im Lager „Melinka“ in Puchuncavi. Er wurde im Juni 1976 freigelassen.

„Gehen wir weiter auf dem Weg zu dem Ziel, das diejenigen von uns hatten, die während der Diktatur politische Gefangene waren: Ausbeutung, Elend und Ungerechtigkeit zu beenden, um eine bessere Welt zu erreichen.“

Jorge*

War Mitglied der MAPU und wurde am 03. Oktober 1973 in Valparaíso durch den Geheimdienst der Marine verhaftet. Binnen 14 Monaten durchlief er verschiedene Lager und Einrichtungen der Marine, u.a. „Cuartel Silva Palma“, das Gefängnis und das Krankenhaus von Valparaíso, wohin er zur Behandlung von durch die Folter erlittenen Wirbelsäulen-Verletzungen gebracht worden war. Seine Freiheit erhielt er im Tausch gegen das Exil. Am 07. Februar 1975 verließ er mit Hilfe von Amnesty International das Land. Er war aufgrund der Wirbelsäulen-Verletzungen jahrelang auf einen Rollstuhl angewiesen und braucht bis heute Gehstützen.

„Die Regierung von Eduardo Frei Ruiz-Tagle (1995-2000) hatte das Motto:

'Blättern wir um und schauen wir nur in die Zukunft', um die Vergangenheit mit den Verbrechen hinter sich lassen. Einer der Hauptgründe für meine Arbeit (als Journalist) war es, in der chilenischen Gesellschaft das historische Gedächtnis zu diesen Verbrechen zu etablieren. Nein zum Vergessen!“

José*

trat 1965 in die chilenische Marine ein. Er gehörte den „Marineros Constitucionalistas“ an, einer informellen Gruppe von Matrosen, welche versuchte, die Regierung Allende vor dem Putsch zu schützen.

Im August 1973 wurde José Lagos an Bord eines Kreuzers verhaftet und kam in das Cuartel Silva Palma in Einzelhaft. Er durchlief dann mehrere Lager, in denen er gefoltert wurde; schließlich wurde er im öffentlichen Gefängnis von Valparaíso festgehalten bis zu seiner Freilassung im August 1976, nachdem er eine von der Staatsanwaltschaft Valparaíso verhängte Strafe verbüßt hatte. 1977 ging er ins Exil und lebt seitdem in Berlin.

José Miguel*

geb. 1943, in Santiago de Chile, war u.a. Mitbegründer der Frente de Trabajadores Revolucionarios (FTR), der Gewerkschafts-organisation der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) und setzte sich aktiv bei der JAP (Junta de Abastecimientos y Precios) ein, einer Bürgerinitiative zur Unterstützung der Regierung Allende durch die Verteilung von Lebensmitteln. Am 17.09.1973 wurde er mit der Begründung, er hätte gegen das Arbeits-gesetz verstoßen, aus seiner Arbeitsstelle entlassen. Vier Tage später wurde er von Personal der Luftwaffe in seinem Haus verhaftet, ins Nationalstadion gebracht, verhört und gefoltert. Am 3. November 1973 wurde er entlassen und konnte mit Hilfe des „Comité pro Paz“ nach Argentinien ausreisen. Nachdem auch in Argentinien dorthin geflohene Chilenen verfolgt wurden, ging Miguel in Exil nach Berlin.

Lautaro*

Als Mitglied der MIR von Februar bis Oktober 1976 inhaftiert, zunächst in der „Villa Grimaldi“, dann verschiedene Aufenthalte in der Geheim-Klinik „Santa Lucía“, in „3 y 4 Álamos“, in der Kaserne Silva Palma, danach „Puchuncaví“ und wiederum „3 Álamos“. Ein Kriegsgerichtsver-fahren in Valparaiso endete 1976 mit anschließender Verbannung und Exil in Venezuela. Rückkehr nach Chile 1991. Seine Ehefrau wurde ebenfalls verhaftet und erst nach seiner Ausreise freigelassen.

Seine Schwester Lumi Videla Moya wurde von der Geheimpolizei DINA am 3.November 1974 zu Tode gefoltert. Anschließend wurde ihre Leiche in den Garten der italienischen Botschaft geworfen und das Gerücht verbrei-tet, sie wäre bei einer Orgie der Flüchtlinge in der Botschaft ums Leben gekommen. Die Obduktion ergab, dass sie erstickt wurde.

„Als Organisationsbeauftragter der MIR in Santiago kannte ich natürlich sehr viele Leute, so dass ich zwar oft gefoltert wurde, um Informationen preiszugeben, andererseits aber bestand das Interesse, mich am Leben zu erhalten, um vielleicht doch noch etwas herauszubekommen. Ich habe durch unerwartete freundliche Handlungen meiner Wächter erlebt, dass das 'Stockholm-Syndrom' tatsächlich in beiden Richtungen eintreten kann... und schließlich auch gelernt, dass auch unsere 'Verräter' letztlich Opfer sind.“

María Antonia*

Verhaftung am 5. Oktober 1973 durch die Polizei (Carabineros), Einlieferung in das Gebäude der früheren Militärakademie der Marine, einem Folterzentrum der sogenannten „Todesschwadron“ der Spezialkräfte der Marine. Verlegung auf ein Schiff, dann in das Frauengefängnis „Buen Pastor“. Im März 1974 mit drei weiteren Frauen in die Kaserne „Silva Palma“ gebracht und dort Verhören und Folter unterworfen. Zurück in „Buen Pastor“, wurde ihr die Ausweisung mitgeteilt; am 13. November 1974 wurde sie zusammen mit ihrer Tochter zum Flughafen von Santiago gebracht, um das Land für unbestimmte Zeit zu verlassen. Exil in der DDR.

„Es ist nie ein Gerichtsverfahren gegen mich eröffnet worden, ich hatte auch kein Recht auf einen Anwalt. Ich erhielt weder Arbeitslosengeld noch eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Es gab keine konkreten Beschuldigungen, nur die Verfolgung der politischen Überzeugung.“

Orlando*

geb. 1946, wurde am 12. September 1973 als „sehr gefährliche Person“ auf seiner Arbeitsstelle verhaftet. Er wurde ins Gefängnis der Stadt Linares gebracht, wo er etwa einen Monat lang allein in einer 2 x 2 m großen Isolierzelle festgehalten wurde. Später wurde er mit einer Gruppe von Häftlingen zur Regimentskaserne von Linares gebracht, wo sie etwa 4 Monate blieben.

Er durchlief mehrere Lager, u.a. „Chacabuco“ in der Atacama-Wüste, „Melinka“ in Puchuncavi, und „3 y 4 Álamos“, bis er im Juli 1976 freigelassen wurde.

Oscar*

Gehörte 1966 zu den Gründern der Schüler-Theatergruppe Aleph in Chile, die auf Anregung von Eduardo Sabrovsky entstanden war.

Am 20. November 1974 wurden er und seine Schwester verhaftet und in die „Villa Grimaldi“ gebracht. Einige Tage später gingen seine Mutter und sein Schwager, ein Mitglied der MIR, zur Geheimpolizei, um gegen die Verhaftung Einspruch zu erheben. Beide wurden verhaftet und sind seitdem verschwunden.

Oscar Castro durchlief dann die Lager „3 und 4 Alamos“, „Malinka“ in Puchuncavi und nochmal „3 Álamos“, bis er am 20.11.1976 freigelassen wurde. Nach seiner Entlassung ging Ramirez mit seiner Frau und seiner Schwester ins Exil nach Frankreich, wo er das Aleph-Theater in Ivry sur Seine gründete.

Die französische Regierung hat am 14.07.2018 Oscar Castro Ramirez zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

"Jeder Misserfolg ist ein seltsamer Sieg."

Patricia*

wurde am 23. August 1984 von CNI-Agenten in ihrem Haus in Concepcion verhaftet, während sie auf ihre vierjährige Tochter wartete, die aus dem Kindergarten kommen sollte. Die Verhaftung fand im Rahmen der Operation "Alfa Carbón" statt, in der der CNI sieben Mitglieder der MIR hingerichtet hat, darunter Nelson Herrera, ihren Mann.

Sie wurde am nächsten Morgen nach Santiago ins „Cuartel Borgoño“ gebracht, wo sie geschlagen, mit Strom gefoltert, mit dem Tod und dem Verschwindenlassen bedroht wurde. Sie wurde nach Concepción zurückgebracht und der Militärstaatsanwaltschaft übergeben. 1985 wurde sie ins Gefängnis der Stadt Coronel zusammen mit anderen weiblichen Gefangenen verlegt. „Ein Jahr später wurde ich auf Bewährung entlassen, und erst 2007 wurden wir von allen Vorwürfen freigesprochen, konnten unsere Bürgerrechte wiedererlangen und unsere Bezeichnung als Terroristen im Zivilregister löschen lassen.“

Pedro Alejandro*

Student an der Universidad de Chile, Mitglied der Sozialistischen Partei; wurde im Mai 1975 durch Personen in Zivil verhaftet und in „Venda Sexy“ für ca. eine Woche eingeliefert. Er durchlief dann mehrere Lager, ehe er nach einer Befragung durch Mitarbeiter der US-Botschaft im Juli 1976 vom „Cuartel Silva Palma“ aus nach New York ausreisen durfte.

„‘Venda Sexy‘ ist ein tiefgreifender, emotionaler und psychischer Bruch in meinem Verständnis und Begriff des Menschseins… durch die Offenbarung der dunklen Seiten, die der Mensch in sich trägt.

Samuel*

Mitglied des Verbindungsausschusses der Mit-glieder des Zentralkomitees der Sozialistischen Partei; nach dem Staatsstreich untergetaucht. Von der DINA (Direción de Inteligencia Nacional) am 17.3.1974 verhaftet und zunächst nach „Lon-dres 38“ gebracht. Dann wurde er in folgenden Internierungslagern gefangen gehalten: im „Rocas de Santo Domingo“, im „Estadio Chile“, im „Cárcel de los Médicos“ (ehemalige Schule des Sozialdienstes der Universität von Chile), im „Lager von Chacabuco“ (in der Atacama-Wüste), wo er Mitglied des Ältestenrates war. Dann das „Lager Malinka“ in Puchuncaví, wo er am Hungerstreik teilnahm, um die Ermordung der sogenannten „119“ in Argentinien anzu-prangern. Nach 18 Monaten Haft Entlassung in „3 Alamos“.

Shaíra*

Als Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles im Juli 1975 durch die DINA (Direción de Inteligencia Nacional) festgenommen und zu-nächst nach José Domingo Cañas 1367 gebracht, dann für einige Tage in die „Villa Grimaldi“, dann nach „4 Álamos“. Für einen Monat wird sie zusammen mit 120 anderen Gefangenen aus 4 Álamos in den Ferienort „El Salitre“ in San Juan de Pirque gebracht, um eine UN-Kommission zu täuschen, die Men-schenrechtsverletzungen untersuchen soll.

Shaira wurde danach nach 3 Álamos verlegt, von wo aus sie 1975 freigelassen wurde und ins Exil nach Paris ging.

Victor*

war Mitglied der Marineros Constitucionalistas und wurde am 8. August 1973 auf dem Schiff „Kreuzschiff Prat“ verhaftet. Er kam zunächst in die „Festung Borgoño“ bei Talcahuano in Isolationshaft und wurde dort von Matrosen des Marineinfanteriekorps gefoltert. Er durch-lief dann den Marinestützpunkt "Cuartel Rodríguez", das Gefängnis von Concepción und das Gefängnis von Valparaiso.

„Ende 1975 erkrankte ich an Tuberkulose und wurde ins Sanatorium nach Peñablanca geschickt. Dort blieb ich als gefährlicher Gefangener (mit zwei Wachmännern) bis September 1976. Dann konnte ich durch die Solidarität der norwegischen Regierung nach Oslo in Exil gehen.“

Angel*

wurde als Mitglied der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucioaria) am 17. August 1978 verhaftet und zum „Cuartel Borgono“ gebracht, wo er bis zum 23. August gefoltert wurde. „Der Ort, an dem ich gefoltert wurde, wurde 1996-97 zerstört, um das neue Gebäude der Anti-Drogen-Einheit der PDI (Policía de Investigaciones) zu bauen.“

Dann wurde er zusammen mit anderen Mitgliedern des Widerstands in das Gefängnis von Santiago überführt. Er wurde nach dem „Gesetz über innere Sicherheit und Waffen-kontrolle“ angeklagt und zu zehn Jahren Haft verurteilt.

„Ich wurde am 12. Mai 1987 nach acht Jahren und acht Monaten aus dem Gefängnis entlassen und verbüßte den Rest meiner Strafe auf Bewährung.“

Armando*

Student und Arbeiter in der Textilindustrie, wurde bereits am 11.09.1973 festgenommen, war zunächst im „Estadio Chile“ gefangen, dann im „Nationalstadion“ bis zum 16. Oktober 1973.

Nachdem er sich bereits bei einem Koordina-tionsbüro für ehemalige politische Gefangene engagiert hatte, arbeitet er seit 2012 bei der „Memorial Estadio Nacional“ und unterstützt die Einrichtung von Erinnerungsorten im Komplex des Nationalstadions.

„Unser Leben hing an der einfachen Geste von Wahnsinnigen, die durch das Heben oder Senken des Daumens, wie römische Cäsare, über uns bestimmten.“

Higinio Alfonso*

war Mitglied des Zentralkomitees der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) und wurde erstmals am 3. April 1975 verhaftet. Er wurde zunächst in der „Villa Grimaldi“ gefoltert, dann nach „3 Álamos“ und schließlich in das Lager „Melinka“ bei Puchuncavi gebracht, bis er 1976 entlassen wurde. 1977 ging er in den Unter-grund, 1983 wurde er erneut verhaftet und blieb bis September 1991 inhaftiert.

„Von dem Moment an, als ich entlassen wurde, widmete ich mein Leben der Sache der Erinnerung, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Wieder-gutmachung. Der Staatsterrorismus und der Völkermord durch die Diktatur können nicht ungestraft bleiben, weil nur auf diese Weise die Bedingung für Nichtwiederholung geschaffen werden kann und es dadurch erst möglich ist, den Aufbau einer gerechteren und zivilisierteren Gesellschaft voranzutreiben.“

Soledad*

Mitglied der Jugendorganisation der Kommu-nistischen Partei Chiles, als 16-jährige im Jahr 1975 erstmals vom “Comando Conjunto” festgenommen, zunächst in den früheren Räumlichkeiten der Zeitung “El Clarín” festgehalten, später in die “Villa Grimaldi” und schließlich nach “4 Álamos” gebracht, wo sie schließlich freigelassen wurde.

Bei den Folterungen mit Elektroschocks wurde das 16-jährige Mädchen schwer an der Brust verletzt. 1976 erneute Festnahme, zwei Monate in der “Villa Grimaldi”, anschließend erneut in “4 Álamos” gefangen gehalten. Am 10. September 1976 wurde sie in “3 Álamos” freigelassen.

“Da ich in “3 Álamos” noch minderjährig war, wurde mir von vielen Mithäftlingen Unterricht angeboten, den ich gerne annahm. Nach einer Woche war es allerdings nicht auszuhalten, da ich von 10 Uhr morgens an, die einzige Schülerin war, die alle unterrichten wollten.

Meine Geschichte endet aber nicht damit: Ich habe meine Schulbildung abgeschlossen, später Rechtswissenschaften studiert und mit einem Master in Menschenrechten abgeschlossen. Heute bin ich ein Teil derer, die noch Gerechtigkeit, Wahrheit, Wiedergutmachung und Erinnerung suchen.”

Fedor Luciano*

1954 in Lota, Chile geboren. Zur Zeit des Militärputsches Mitglied der Kommunistischen Jugend und Studentenführer. Erstmals verhaftet am 13.09.1973 und sechs Tage auf der Insel Quiriquina festgehalten. Zweite Verhaftung am 22.09.1973 und bis zum 15.01.1974 im Regionalstadion von Concepción gefangen. Dann nach „Lager Chacabuco“ geschickt und dort bis zur Schließung dieses Lagers Ende 1974 festgehalten. Anschließend bis Mitte 1975 im „Lager Melinka“ in Puchuncaví inhaftiert, dann Transfer nach „3 Álamos“.

„Aus diesem Lager wurde ich Anfang September 1975 zusammen mit etwa hundert Gefangenen aus Chile nach Panama ausgewiesen: mit einem Rückkehrverbot in mein Land.“

Abkürzungen und Erklärungen

MIR Movimiento de Izquierda Revolucinaria (Bewegung der revolutionären Linken)

FTR Frente de Trabajadores Revolucionarios

(Front der revolutionäre Arbeiter)

DINA Direción de Inteligencia Nacional (Leitung des Nationalen Geheimdienstes) (bis 1977)

CNI Central Nacional de Informaciónes

(Nachfolgeorganisation der DINA ab 1977)

MAPU Movimiento de Acción Popular Unitaria (Bewegung der vereinten Volksaktion)

FACH Fuerza Aéra de Chile (chilenische Luftstreitkräfte)

„Comando Conjunto“ (Gemeinsamen Kommandos)

Die Existenz und Arbeitsweise des Gemeinsamen Kommandos war völlig geheim, ohne jegliche Legalität. Das Kommando war verantwortlich für die Koordination der Geheimdienstarbeit der verschiedenen Sicherheitsdienste der Armee und der Polizei (Carabineros).

Lager Chacabuco“: eine zerfallende ehemalige Salpetermine in der Atacama-Wüste.

„Lager Melinka“: Lager in Puchuncaví rund 100 km nördlich von Santiago, ehemals eine Badeerholungs-einrichtung für Arbeiterfamilien.

Fall der 119 Gefangenen: Die Operation Colombo war eine militärische Aktion in den Tagen der chilenischen Militärdiktatur (1975), die zum Verschwinden von 119 Oppositionellen geführt hat. Dieser Sachverhalt sollte nach dem Ende der chilenischen Militärdiktatur aufgeklärt werden. Laut Anklage hatte der chilenische Geheimdienst DINA unter dem Befehl des Diktators Augusto Pinochet unliebsame Oppositionelle ermordet und versucht, diesen Mord linken Guerillieros der Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR) in die Schuhe zu schieben. Angeklagt waren neben Pinochet auch der ehemalige General Manuel Contreras. Pinochet, der 2005 für verhandlungsfähig erklärt worden war, starb jedoch 2006. 2008 wurde der ehemalige Oberst Mario Manriquez Bravo als Verantwortlicher für die Durchführung der Operation verurteilt. Richter Juan Eduardo Fuentes Belmar beendete anschließend das Verfahren.

*Zum Schutz der Privatsphäre der Opfer werden hier nur die Vornamen der Personen genannt.